Sonntag, 16. Juli 2017

Wahlprogramm 1.4

1.4 Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild


Wir wollen dem Volk das Recht geben, den Abgeordneten auf die Finger zu schauen und vom Parlament beschlossene Gesetze zu ändern oder abzulehnen. Dies würde in kürzester Zeit die Flut der oftmals unsinnigen Gesetzesvorlagen nachhaltig eindämmen und die Parlamente zu sorgfältigerer Arbeit zwingen. Ein mäßigender Einfluss auf Beschlüsse der Abgeordneten in eigener Sache – etwa Diäten-, Fraktions- und Parteienfinanzierung und die Finanzierung von „parteinahen“ Stiftungen – wäre dadurch gewährleistet. Das Volk soll auch die Möglichkeit erhalten, eigene Gesetzesinitiativen einzubringen und per Volksabstimmung zu beschließen.

Die AfD fordert Volksentscheide nach Schweizer Vorbild auch für Deutschland.

Ohne Zustimmung des Volkes darf das Grundgesetz nicht geändert und kein bedeutsamer völkerrechtlicher Vertrag geschlossen werden. Die deutschen Bürger sind der Zahlmeister Europas. Entgegen aller früheren Beteuerungen haften wir für die jährlich wachsenden Schulden anderer EU-Länder. Dies ist ein schicksalhafter politischer Wortbruch, der die heute lebenden Bürger und mehrere nachfolgende Generationen in große Existenznot bringen wird.

Das deutsche Volk soll deshalb nach dem britischen Vorbild über den Verbleib Deutschlands in der Eurozone und gegebenenfalls der EU abstimmen!

Im Gegensatz zur CDU und ihrer Kanzlerin halten wir das deutsche Volk für ebenso mündig wie das der Schweizer, der Briten, der Franzosen, der Italiener und der Niederländer. Entgegen anderslautender Behauptungen entscheiden Bürger in Schicksalsfragen der Nation weitsichtiger und gemeinwohlorientierter als macht- und interessengeleitete Berufspolitiker. Das ist die Lehre aus der Wiedervereinigung, aus der Ablehnung des „EU-Verfassungsvertrags“ durch das französische und das niederländische Volk und der Entscheidung der Engländer, aus der Lissabon-Union auszutreten.

Wir sind der Auffassung, dass die vielfältigen politischen Probleme Deutschlands mutiger Weichenstellungen bedürfen. Nach unserer Überzeugung können die fundamentalen Krisen von Währung, Energieversorgung und Migration sowie die Konfrontation mit dem Islam alleine weder von der Regierung noch vom Bundestag tragfähig bewältigt werden. Ohne eine unmittelbare Mitbestimmung der Bürger kann und darf dies auch nicht geschehen.

Die Einführung von Volksabstimmungen nach Schweizer Modell ist für die AfD deshalb nicht verhandelbarer Inhalt jeglicher Koalitionsvereinbarungen.



Analyse:


Ein hehres Ansinnen, das einer anarchistischen Bewegung alle Ehre macht. Man sollte sich aber im Klaren darüber sein, dass man das Ziel "die Flut der ... Gesetzesvorlagen einzudämmen" kaum erreichen wird, wenn man "dem Volk" (wer bitteschön soll das konkret sein?) die Kompetenz zur Einbringung, Änderung und Ablehnung von Gesetzen erteilt. Selbst wenn nur ein Teil der Bundesbürger dazu berechtigt wäre, hätten die Parlamentarier täglich über tausende sich widersprechende Gesetzesvorlagen, Änderungen und Streichungen abzustimmen, die dann von anderen Berechtigten wieder gekippt oder erneut eingebracht würden. Da wäre es doch sinnvoller, Gesetze per se abzuschaffen und jeden Staatsbürger nach seiner Fasson werkeln zu lassen, was auch dem anarchistischen Gedanken wesentlich authentischer entgegenkommen würde. Im Zweifelsfall gälte halt das Recht des Stärkeren (oder des besser Bewaffneten...), was allerdings der sonst so oft beschworenen Sicherheit diametral entgegenstünde.

Im zweiten Absatz rudert man wieder sehr weit zurück und reduziert die zuvor geforderte unbegrenzte Freiheit auf das Recht, zu (von wem initiierten?) Vorgaben Ja oder Nein sagen zu dürfen. Hoffentlich einigt sich die AfD bis zur Machtübernahme, ob sie lieber die volle Anarchie oder doch eher ein ritualisiertes Placebo zum Kuscheln haben möchte.

Wenn man "das Volk" (wer auch immer das konkret sein soll) über alle anstehenden Entscheidungen abstimmen ließe, würde "der Staat" sehr schnell zusammenbrechen. Mir ist allerdings nicht ganz klar, welcher kausale Zusammenhang zwischen Volksabstimmungen über Staatsverträge und der nicht belegten Behauptung besteht, die BRD sei der "Zahlmeister Europas". Da die EU die BRD meines Wissens nach aber nie autorisiert hat, Gelder der EU zu verwalten und auszugeben, sollte die AfD vielleicht präzisieren, mit welcher Legitimation sie die BRD hier zum EU-Zahlmeister ernennen zu dürfen meint. Ebenso sollte sie präzisieren, wer wann was ("früher" ist keine Zeitangabe...) beteuert hat, und was das mit ihrer Behauptung zu tun hat, sie (die AfD!) hafte für die "jährlich wachsenden Schulden anderer EU-Länder". Das ist schlicht und ergreifend eine aus den Fingern gesogene Behauptung, die allenfalls mit alternativen Fakten belegbar wäre. Auch der letzte Satz des dritten Absatzes ist schwer nachvollziehbar - wer hat wem wann welches Wort gegeben, das "schicksalhaft" gebrochen wurde, und warum sollte ein Brechen dieses nirgendwo zitierten politischen Wortes in der Lage sein, heute lebende Bürger und künftige Generationen in "grosse Existenznot" zu bringen?

Die Verworrenheit prägt auch den vierten Absatz: Die Mär vom imaginären "schicksalhaften Wortbruch" kulminiert in der Forderung, die BRD solle nach britischem Vorbild wirtschaftlichen und politischen Selbstmord begehen. Dass dazu ein von unserer Verfassung nicht legitimierter (sprich verfassungswidriger, illegaler) Plebiszit gefordert wird, schließt den Kreis der Verworrenheit.

Dass Plebiszite nur dann sinnvoll sind, wenn die Stimmberechtigten unbeeinflusst von Volksverhetzern abstimmen können, sieht man sehr schön am Beispiel Großbritanniens - bereits einen Tag nach dem Brexit wurde vielen Briten klar, dass sie von den Farages und Johnsons ganz übel manipuliert und verarscht worden waren. Auch die Franzosen dürften inzwischen mitbekommen haben, dass man als Einzelkämpfer weniger erreicht als in einer Gemeinschaft. Wer in einer Welt mit global agierenden Wirtschaftsgiganten und Banken überleben will, muss sich zwangsläufig mit anderen zusammenschließen.

Nett, dass die AfD im fünften Absatz endlich einmal ihre politischen Ziele darlegt, auch wenn der grösste Teil des Absatzes aus Floskeln und Allgemeinplätzen besteht. Nach der kurzen Erwähnung angeblich "fundamentaler Krisen von Währung und Energieversorgung", obwohl der Euro die stabilste Währung der Welt ist und der Strom in der gesamten BRD noch nie rationiert wurde, kommt man zügig zum Punkt, und erläutert, worum es der AfD wirklich geht: Die Ablehnung der Migration und die "Konfrontation mit dem Islam". Und das Allheilmittel gegen das beschworene Feindbild ist selbstverständlich die "unmittelbare Mitbestimmung der Bürger". Mich würde interessieren, wie das konkret aussehen soll - will die AfD "das Volk" an der Grenze postieren, um dort dann über die Einreise jedes eintreffenden Asylbewerbers per Volksentscheid abzustimmen?

Der abschließende sechste Absatz ist dann noch einmal rein rhetorischer Natur - die AfD wird in absehbarer Zukunft kaum in die Verlegenheit kommen, mit anderen Parteien koalieren zu müssen.

Keine Kommentare: